Texte / texts

Kommentar zum Traum – Hans-Karl Seeger (2008)

Träume sagen etwas aus über den, der sie träumt, und sie haben an diese Person eine Botschaft. Unabhängig aber vom Träumer ist der Traum vom „Bücherbaum auf der Gefängnismauer“ ein sehr sprechendes Bild: Über die Mauer hinweg verschaffen Bücher den Gefangenen Zugang zu dem, was jenseits der Mauer ist und machen ihnen deutlich, daß die Welt des Gefängnisses nicht alles ist. Das ist ebenso wichtig, wie außerhalb des Gefängnisses um Personen zu wissen, die zu einem halten.
Die Bücherverbrennungen aller Zeiten zeigen, wie gefürchtet Bücher wegen ihres Inhaltes waren und sind. Vielleicht sogar mehr als Waffen.
Zu dem Traum paßt das Lied „Die Gedanken sind frei“. Der Träumer hat die Chance, alle Mauern, die es auch in seiner eigenen Person gibt, zu überwinden. Eigentlich brauchten diese gar nicht zu existieren. In der Regel errichten wir solche Mauern selbst, um uns abzugrenzen, weil wir Ängste haben. In dem Lied „Meine engen Grenzen“ bitten wir Gott, diese Ängste abzubauen.
Es geht letztlich um den „Victor in vinculis“, den Sieger in Fesseln, angefangen von Jesus bis zu den Widerstandskämpfern: Sie waren als Gefangene freier als ihre Wärter. Sehr deutlich wird das an Karl Leisner, der im KZ Dachau zum Priester geweiht wurde. Er war ein Sieger in Fesseln. Bei der Priesterweihe benutzte sein französischer Mithäftling Bischof Gabriel Piguet von Clermont einen Bischofsstab mit der Inschrift „Victor in vinculis“, den Pater Makarius Spitzig OSB im KZ geschnitzt hatte. Ein frühe Beschreibung dieser Weihe wurde bereits 1947 von Domkapitular Reinhold Friedrichs in einem Sammelband mit dem Titel „Sieger in Fesseln“ veröffentlicht. (Hofmann Konrad, Schneider Reinhold, Wolf Erik, Sieger in Fesseln – Das christliche Deutschland 1933–1945, Freiburg 1947.)
Der Jesuitenpater Alfred Delp schrieb aus der Haft an Pater Franz von Tattenbach SJ am 9. Dezember 1944: „Nun haben die äußeren Fesseln gar nichts mehr zu bedeuten, da mich der Herrgott der vincula amoris gewürdigt hat.“ Am 23. Januar 1945 schrieb er in einem Taufbrief an Alfred Sebastian Keßler: „Dies habe ich mit gefesselten Händen geschrieben; diese gefesselten Hände vermach’ ich Dir nicht; aber die Freiheit, die die Fesseln trägt und in ihnen sich selbst treu bleibt, die sei Dir schöner und zarter und geborgener geschenkt.“
Hans-Karl Seeger

Traum vom Bücherbaum – Gedicht 1 von Anne Klaßen (2008)

GP’S’s  „Traum vom Bücherbaum“
Es war einmal der Traum vom Baum,
der fest auf einer Mauer stand
und Außenwelt mit Knast verband.
Ob Religion ob Märchenwelt,
den Traum kriegt man hier nicht für Geld.
Selber muss man denken,
um Frieden sich zu schenken.
In jedem guten Buch
Steckt immer ein Besuch
in ferne Welten, andre Zeiten
die stets im Leben uns begleiten.
Und lernen richtig wir zu lesen,
erkennen wir auch andre Wesen,
die auf realer Ebne leben
und uns auch Glück und Frieden geben.
AK 09/08

„Traum-Baum“ – Gedicht 2 von Anne Klaßen (2009)

Ich hatte eines nachts den Traum
als ich in meiner Zelle lag.
Hinter‘m Gitter stand ein Baum,
der mit mir wartet auf den Tag,
an dem ich könnt das Gitter sprengen
und aus dem Knast ich könnt entfliehn
mich an des Baumes Äste hängen
und ungesehn von dannen ziehn.
Als ich am Morgen dann erwachte,
da hab ich mir das Hirn zermartert,
weil tief im Innern ich dran dachte,
was mich dann wohl erwartet.
Ein Leben führen auf der Flucht,
mich immerfort verstecken,
weil jeder ewig nach mir sucht,
dabei würd ich verrecken.
Ermattet schlief ich wieder ein
und sah ihn wieder, diesen Baum.
Es konnte nicht der gleiche sein,
es war ein neuer Traum.
Die Gitter war‘n geschlossen
der Baum stand nah am Haus,
was aus den Zweigen kam geschossen
sah so unwirklich aus.
Es war weder Obst noch Blätter
nicht einmal der Versuch,
es waren meine Lebensretter,
an jedem Zweiglein hing ein Buch.
Ich konnte jedes einzeln pflücken
es lesen und mich dran erfreu‘n,
hier konnt ich selber mich beglücken
und braucht keine Flucht bereu‘n.
Als man nach langer Nacht mich weckte
da konnt ich’s kaum erwarten,
was ich heut Nacht im Traum entdeckte
in Wirklichkeit zu starten.
Die Schätze aus der Bücherei
die konnte ich genießen,
sie machten innerlich mich frei
und ließen Wissen sprießen.
Dann kam das Ende meiner Haft,
die Zeit war wie im Flug vergangen;
ich hatte endlich was vollbracht
und brauchte nicht mehr bangen.
Ich danke dem, der es vollbracht
mir diesen Traum vom Baum zu geben;
denn damit habe ich ihn geschafft
DEN NEUBEGINN IM LEBEN!
A.K. 29.09.2009

Kommentar zum eigenen Bild – Stephan Ahler  (2010)

In diesem Bild will der Künstler die Beziehung zwischen innen und außen zum Ausdruck bringen. Der Baum auf der Gefängnismauer ermöglicht es, dass es eine Wechselbeziehung zwischen der farbigen und grauen Welt gibt. Die Fenster im Gefängnis sind angeordnet um ein Kreuz. Mit diesem Kreuz erinnert der Künstler an den Auftrag von Jesus Christus, Gefangene zu besuchen. Und in diesem Fall sind die Bücher wie Besucher, die Licht in die Dunkelheit bringen können. Der Gefangene, der Bücher liest, ist verbunden mit der ganzen Welt. So ist es für ihn wie eine Internetverbindung auf Papier. Es gibt ihm die Gelegenheit, etwas für seine eigene Bildung und Rehabilitation als ein Mitglied der Gesellschaft zu tun. Bücher verbinden die Leute innerhalb und außerhalb der Gefängnismauer.

Rap zum Bücherbaumtraum – Lydia Peschers-Wagener (2010)

Refrain (je 2x):
Hey, steh auf und leb den Traum,
leb den Traum vom Bücherbaum,
lass uns über Ängste siegen, grenzenlos ins Weite fliegen.

Grenzen, Mauern, Zaun aus Draht,
keiner sich darüber wagt,
du lebst dort und ich leb hier,
vieles trennt uns – glauben wir.
Komisch auf der ganzen Welt,
werden Grenzen aufgestellt.
Mittendrin in der Natur,
stößt man drauf, warum denn nur ?!
Selbst der Mensch, tief in sich drin,
baut sich Mauern, wo ist Sinn ?!
„Es ist zum Schutz, mein Kind.“, hör ich.
Doch ehrlich, das versteh ich nicht.
„Drüben ist die Welt viel rauer,
deshalb brauchen wir ne Mauer.
Schutz vor anderen Gedanken,
deshalb gibt es diese Schranken.“

Refrain (je 2x):
Hey, steh auf und leb den Traum,
leb den Traum vom Bücherbaum,
lass uns über Ängste siegen, grenzenlos ins Weite fliegen.

Ich möcht‘ so gerne weitergehn,
nicht nur bis zur Mauer sehn.
Will wissen, ob nicht auch vielleicht,
mir dort jemand die Hände reicht.
Grenzen will ich überwinden,
bis die Ängste alle schwinden
und ich weiß wie man sie öffnet
wie man Mauern unbewaffnet
leise überwinden kann,
mit dem Traum fing alles an.
Viele tausende Gedanken,
keimen in Gedichten reimen
in Geschichten, oh so bunt
auf Blättern drauf und machen kund,
wie es dir geht, oder mir,
wie es drüben aussieht – hier.

Refrain (je 2x):
Hey, steh auf und leb den Traum,
leb den Traum vom Bücherbaum,
lass uns über Ängste siegen, grenzenlos ins Weite fliegen.

Und mit ihrer Zauberkraft,
die die Macht der Worte schafft,
kann man aus Gefangenschaft,
in andre Welten sich begeben,
und dort ohne Mauern leben.
Und sei’s auch nur für kurze Zeit
das befreit – dich und auch mich,
genieß es, komm und sei bereit.
Und weil Gedanken im Blatt sind,
haben sie ’nen Baum für sich,
an dem sie wachsen und gedeihn,
dessen Wurzeln Kraft verleihn.
Die Wurzeln dieses Baums sind alt,
aus Erde, Luft und Wasser ballt
sich alles Wissen samt Gedanken
in ihn drin, überwindet Schranken.

Refrain (je 2x):
Hey, steh auf und leb den Traum,
leb den Traum vom Bücherbaum,
lass uns über Ängste siegen, grenzenlos ins Weite fliegen.

Und verleiht dem Baum die Macht,
die Frucht in seiner ganzen Pracht
an mich hier, und dich da drüben,
zu verschenken, und wir fliegen,
vielleicht aufeinander zu,
du und ich, ich und du,
du und ich, ich und du
du und ich, ich und du.

Text: Lydia Peschers-Wagener, 05 / 2010

Gedicht 1 – Karl-Hein Eisenkopf  (2010)

Gedanken zum Traum vom Bücherbaum auf einer Gefängnismauer

Träume öffnen Horizonte,
überschreiten Zeit und Raum.
Mauern sind da nicht mehr Grenzen,
sind bekrönt mit einem Baum

Wer sich anlehnt
dem stärkt er den Rücken,
füllt mit Leben seinen Traum.
Guter Freund
Bücherbaum.

Deine Frucht ist Geistesnahrung,
Lebenselixier und Seelenbrot.
Sie ist Wegbegleitung, Stärkung, Hilfe,
von der Wiege bis zum Tod.

Gedicht 2 – Karl-Hein Eisenkopf  (2010)

Prolog

Im Buch der Bücher ist der Baum,
Symbol für Unvergänglichkeit des Lebens
im Schutze einer höh’ren Macht

Doch die Missachtung des Gebotes,
die Frucht des Baumes nicht zu essen,
hat Ausgrenzung und Tod gebracht

Hab Ehrfurcht vor dem Quell des Lebens,
bewahr die Schöpfung
Ursprung aller Lebenskraft

Klagemauer zwischen Zeit und Ewigkeit
Lass mich des Lebens Frucht in Fülle ernten
Umkehr, Vergebung, Gnade statt Gerechtigkeit

Mauern

Vom Schutzwall, der Abgrenzung, der Ausgrenzung,
zum touristischen Besichtigunsangebot in Katalogen von Reiseveranstaltern
Chinesische Mauer, Limes, Gettos in Rom-Prag-Warschau …,
Berliner Mauer, Mauer zwischen Israel/Palästina?!……..

Mauern trennen, Mauern schützen
können hindern, können nützen

Tore schaffen Übergänge,
führ’n hinaus, und in die Enge

Bäume können Mauern überragen,
und sie können Früchte tragen

Einst stand der Baum im Paradies,
bevor wir uns dort selbst vertrieben,
und Mauern bauten die es schließt.

Verbotne Früchte schaffen Mauern,
in Herzen, Köpfen und real.
Mag man es später auch bedauern,
der Nachgeschmack ist fad und schal.

Gefangen in der Weltgetriebe
fest eingeschlossen in der eignen kleinen Welt,
bleibt Sehnsucht nach der reinen Liebe,
-wo nur der Mensch als Mensch- und sonst nichts zählt.

Der Traum vom Baum, der Grenzen überragt und Mauern spreng
und in dem lauten Weltgetriebe,
uns rasten lässt und innern Frieden schenkt,
der wurzelt in der Liebe.

Traumbaum
Bücherbaum
Lebensbaum

Baum der Erkenntnis
Deine Frucht ist bitter
Deine Frucht ist süß
Deine Wurzeln sprengen Kerkermauern,
ja, sie reichen bis ins Paradies.

Kommentar zum eigenen Bild aus Matagalpa (Nicaragua) – Felipe R. A. P. (2010)

Mit diesem Bild konnte ich ausdrücken, dass wir, obwohl wir im Gefängnis sind, frei sind, viele wichtige Dinge zu lernen aus den Büchern, die Monat für Monat der Bücherbau bringt.
Der Baum symbolisiert unser Wissen, das jeden Tag durch Lektüre wächst.
Das Buch ist unser Lehrer, der uns viele gute Dinge lehrt; so habe ich zum Beispiel gelernt, zu malen und zu zeichnen. Landschaften zu zeichnen, inspiriert mich.
Die Sonne führt mich zur Freiheit, zu neuen Zielen.
Ich bin glücklich und zufrieden, dass Gott mein Leben mit guten Menschen wie Ihnen gesegnet hat.

s.a.: Radierung von Felipe R. A. P. in der Bildergalerie

Kommentar zum Traum – Günter Kunert (2010)

Der Bücherbaum blüht, wächst und gedeiht in der Justizvollzugsanstalt Münster wie  auch in anderen Gefängnissen. Bibliothekare setzen sich selbstlos dafür ein, daß die Gefangenen ihre Zeit nicht mit leerem Tun oder sonstigen Nichtigkeiten verbringen, sondern etwas für ihr Wissen, für ihre Bildung, mit einem Wort gesagt: etwas für ihr Gehirn tun. Die Idee, Literatur zu den Häftlingen zu bringen, ist dankenswert, und das Wort „Bücherbaum“, womit gemeint ist, dessen Früchte wüchsen über Mauern zu neuen Lesern, ergibt sich zwangsweise (wenn man das so nennen will) aus dem ursprünglichen und unkündbaren Zusammenhang von Buch und Baum. Kein Buch ohne Papier, kein Papier ohne Holz: eine unfreiwillige Ehe mit unübersehbaren Folgen. Unsere Kultur, nicht allein die gegenwärtige, beruht primär auf der Sprache. Und Sprache zu fixieren, bedarf es bekanntlich eines Materials, ergo: des Papiers. Diese besagte Ehe besteht nicht nur aus ihrer kulturellen Notwendigkeit, sie hat auch einen ambivalenten Zug. Bücher zu machen müssen ganze Wälder dranglauben. Was geistigen Gewinn bringt, stiftet auf der andern Seite Schaden. Das ist und bleibt das Grundgesetzt: jedes Ding hat zwei Seiten. Dagegen hilft kein Protest: jeder Nutzen bringt ebenso Nachteile mit sich. Die Dialektik unseres menschlichen Seins ist unaufhebbar. Wir sind zwar ständig herausgefordert, Gewinn und Verlust gegeneinander abzuwägen, können aber den Entscheidungen nie entgehen. Im „Bücherbaum“ wächst, zumindest metaphorisch, zusammen, was nun wirklich zusammengehört.
28.07.2010   –   s.a.: Radierung von Günter Kunert in der Bildergalerie

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